Aktien als Popkultur: Der Hype um Gamestop und Wallstreetbets
Der vermeintliche Kampf zwischen “Wallstreetbets” gegen Wall Street bietet seit Wochen beste Unterhaltung. Bisher folgt die Erzählung allerdings mehr den Marktdynamiken als den heroischen Darstellungen eines Klassenkampfes. Eine Analyse.
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Kleinanleger:innen gegen Wallstreet-Wölfe, Reddit-„Wallstreetbets“-Community gegen Hedgefonds — der vermeintliche Kampf um die Hoheit über die Finanzmärkte ist einen Monat nach dem vermeintlichen Short-Squeeze der Gamestop-Aktie und anderer Titel wieder in den Fokus gerückt. Doch dahinter stecken vielfältigere Dynamiken.
Zweifelsohne: Die Geschichte hat Hollywood-Potenzial. In einer nüchternen Auseinandersetzung mit dem Thema verpuffen die Erzählungen von David gegen Goliat oder dem Klassenkampf allerdings schnell.
Die Romantik der Umverteilung
Sie klingen zunächst naheliegend. Einige Anleger:innen haben beträchtliche Renditen erzielt, im „Wallstreetbets“-Subreddit machen seit Wochen Screenshots von hohen Gewinnen durch die Gamestop-Aktie die Runde. In herzerwärmenden Geschichten erzählen die Nutzer:innen, wie dieses Gemeinschaftsgefühl ihr Leben verändert hat. Gewinner:innen berichten stolz, wie sie Teile ihres neu angesammelten Vermögens für wohltätige Zwecke nutzen. Welcher Hedgefonds würde das schon machen…
Also eine romantische Umverteilung von reich zu arm? Nur bedingt. Andere haben herbere Verluste erlitten als die großen Zocker, weil sie sich zu spät dem Trend anschlossen. Der gerne heraufbeschworene Klassenkampf ist das kaum, auch wenn es in „Wallstreetbets“-Kommentaren gerne heißt, dass die vermeintlichen Verlierer:innen sich nur lange genug gedulden müssten, um selbst noch zu profitieren. Verlust hat nur, wer mit Verlust verkauft.
Die Mär der Demokratisierung
Ein vor allem vom Neo-Broker „Robinhood“ verwendeter und gemeinhin übernommener Begriff ist die „Demokratisierung der Aktienmärkte“. Niedrige Gebühren, einfache Bedienung — Anteilsscheine oder riskantere Derivate zu kaufen, ist in etwa so kompliziert wie eine Pizza zu bestellen.
Die neuerlich große Zahl von Kleinanleger:innen mag eine bislang unbekannte Macht entfaltet haben. Sie führt wohl bald auch zu neuen Regularien, um weitere Fälle wie Gamestop zu verhindern. Wenn „Finanzexperten“ nun von illegalen Absprachen und einer Ausnutzung dieser Macht sprechen, stellt sich die Frage: Was ist der Unterschied zwischen einem Investment- oder Hedgefonds, der Milliarden Euro verwaltet, und vielen Menschen, die individuell die gleiche Entscheidung treffen und dadurch Milliarden in eine Aktie investieren? Sie spielen jetzt eben im Casino mit. Analysten und Profis können genauso falsch liegen.
Hinzu kommt ein ganz einfacher Mechanismus:
- Der Aktienmarkt wird mit Geld überschwemmt, die Nachfrage nach Wertpapieren steigt.
- Das Angebot bleibt gleich.
- Die Aktienkurse steigen.
Auf dem Aktienmarkt herrscht also eine höhere Inflation als bei den Realwährungen. Davon zeugt auch, dass die großen Börsen-Indexe trotz Pandemie und massiven wirtschaftlichen Einbrüchen (Deutschland: -5%) im Vorjahr insgesamt zugelegt haben und etwa der DAX auf Rekordhoch liegt. Profiteur:in ist, wer schon lange (oder zum richtigen Zeitpunkt) investiert.
Analysen, die das nicht mit einberechnet haben, sind seit Monaten wertlos. Sollte es sich tatsächlich um eine Blase handeln, die bald platzt, bluten vor allem die Neueinsteiger. Dann bekommt auch die Weltwirtschaft auch noch ganz andere Probleme; es ist ein System, das komplett überdreht. Die „Wallstreetbets“-Anleger:innen, denen vor allem in den USA noch die materiellen Verluste aus der Finanzkrise 2008 vor Augen schweben, hoffen vorher noch auf ein Stück des Kuchens.
Nur: Was bringt diese „Demokratisierung“, wenn ein beträchtlicher Teil gar nicht daran teilhaben kann, weil die Mittel fehlen? Selbst bei dieser „Umverteilung“ bleibt das Vermögen ohnehin innerhalb der obersten Prozent. Die Privilegien wurden ausgeweitet, dessen sollten sich alle Spieler:innen in diesem Casino bewusst sein. Und an einer uralten Regel hat sich durch all das nichts geändert: Am Ende gewinnt die Bank.
Der Aktienmarkt bildet schon lange nicht mehr den realen Gegenwert der Unternehmen ab. Wer Erfolg haben will, versucht, schneller und erfolgreicher zu Wetten als die Masse. Optionshandel und Derivate, durch die Zielmarken nicht nur vorhergesagt, sondern mit Gewinn/Verlustrisiko definiert werden, befeuern das. Anders als bei Sportwetten erleiden Anleger:innen zumindest beim klassischen Investment jedoch selten einen Totalverlust — auf lange Sicht haben sich Aktien bislang mit Ausnahmen meist bewährt. Es bleibt jedoch Spekulation, wie die AMD-Aktie jüngst eindrücklich zeigte: Ohne, dass Nachrichten aus dem oder über das Unternehmen kamen, büßte die Aktie wegen des Optionshandels rund 20 Prozent ihres Wertes ein. Auch davon abgesehen zeigen die Entwicklungen, dass vor allem auf die Zukunft gewettet wird.
Nun zu Gamestop. Hier sollte erst einmal mit ein paar Vorurteilen aufgeräumt werden. Da wäre etwa der Nutzer DeepFuckingValue (DFV) aka Roaring Kitty, gerne als „Anführer“ bezeichnet. Das ist schlichtweg falsch. Im Subreddit „Wallstreetbets“ ist er einer von inzwischen 9,2 Millionen Nutzern. Auf Twitter verzeichnet er mehr als 270.000 Follower, seine Beiträge — überwiegend Gamestop-Memes und Ankündigungen zu Livestreams — verzeichneten jedoch vor Dezember kaum mehr als 40 Likes. Seine Videos auf YouTube sind inzwischen erfolgreicher, seine erste Analyse zur Gamestop-Aktie zählt fast eine Million Aufrufe. Die Livestreams mit den Zwischenständen stecken dagegen noch heute bei wenigen Tausend Klicks.
Im Subreddit „Wallstreetbets“ veröffentlichte DFV im September 2019 einen Beitrag über seinen GME-Yolo. Yolo steht in der Community dafür, den gesamten Einsatz in eine riskante Anlage zu stecken. Selbst in dem Forum, das einen „gain porn“ (hohe Erträge) ebenso feiert wie einen „loss sporn“ (hohe Verluste), wurde er zunächst für seinen Yolo verspottet. Doch mit den regelmäßigen Updates und den positiven Zahlen erhielt er immer mehr Aufmerksamkeit — und Anhänger. Seine Posts sind dabei eher argumentativ als auffordernd. Auch das spricht gegen die These des Anführers.
Viel mehr hat sich ein Personenkult um Keith Gill, so sein richtiger Name, entwickelt. Seit Wochen finden sich unter jedem Screenshot seines Depots Kommentare wie „Wenn er noch dabei ist, bin ich es auch“ (If he’s still I’m, I’m still in) oder „Das ist der Weg“ („This is the way“ — Anspielung auf die Serie „Der Mandalorianer“ und dessen strengen Kodex.).
“Autisten” und “Degenerierte”
Dabei nimmt sich die Gemeinschaft selbst nicht sonderlich ernst. Inwiefern Selbstbeschreibungen wie „Autisten“ (autists), „Degenerierte“ (degenerates), „Zurückgebliebene“ (retards) gepaart mit Vulgärsprache und Sexismus („tits up“ für scheitern, „gay bears“ für Shortseller oder sinnfreie Kommentare zum Freund der Frau, etc.) sie zugänglich für Außenstehende, insbesondere Frauen, sollte durchaus kritisch hinterfragt werden. Gerade jetzt, wo „Wallstreetbets“ mit mehr als neun Millionen Mitgliedern in der breiten Masse angekommen scheint. Politische Aussagen, die einem rechts-links-Spektrum oder einer ultrakapitalistischen oder antikapitalistischem Haltung zuzuordnen wären, konnte ich dagegen in den rund sechs Wochen, in denen ich mich dort bewege, kaum finden.
Eine Plattform für den Klassenkampf ist der Subreddit also per Eigendefinition nicht. Viel mehr sind es Zocker:innen, die meinen und hoffen, mit einer riskanten Wette (oft Optionen) den großen Wurf zu landen. Durch die hohe Aufmerksamkeit für die Gamestop-Aktie verbuchte eine Vielzahl der Mitglieder nun eben Gewinne. Mit ihren “Meme-Stocks” haben sie einen Faktor offenbart, der in Aktienanalysen bisher nur wenig eingeflossen ist und kaum berechenbar ist: Den ideellen Wert eines Unternehmens.
Tiefgründige Analysen
Hinter „Wallstreetbets“ steckt jedoch weit mehr als ein Haufen Idiot:innen, Meme-Poster:innen und Yolo-Zocker:innen. Besonders diskutiert werden auch immer wieder tiefgründige Analysen („Due Dilligence“, DD) einzelner Unternehmen und Märkte — so etwa DFVs Youtube-Beitrag. Nachdem sich die Community in den vergangenen Wochen gegen Silberspekulationen gewehrt hatte, gerieten etwa Marihuana-Aktien oder das Software-Unternehmen Palantir in den Fokus.
Doch Gamestop war — und ist — ein besonderer Fall. Inzwischen vor allem wegen des Hypes, doch genauso inhaltlich, wie auch im Forbes-Magazin jüngst anschaulich dargestellt. In den Monaten zuvor hatten sich Hedgefonds in das Unternehmen eingeschossen und mit Leerverkäufen (Shortselling) den Aktienkurs künstlich gedrückt. Sie setzten offenbar auf einen Dominoeffekt:
- Indem sie massenhaft Aktien leihen und verkaufen, sinkt der Kurs
- Durch den fallenden Kurs verkaufen verängstigte Aktienbesitzer, der Kurs fällt weiter
- Die Shortseller können die geliehenen Aktien spätestens zum Rückgabetermin deutlich günstiger zurückkaufen und die Differenz (minus Leihgebühr) als Gewinn einstreichen
- Steigt der Preis jedoch, können sie theoretisch unbegrenzte Verluste einfahren (dieses „Ausquetschen“ ist der Short Squeeze).
Diese Taktik betrieben sie so massiv, dass mehr Aktien „geshortet“ wurden, als überhaupt im Umlauf waren. Gill entdeckte wohl als Erster (zumindest öffentlich), dass der Aktienkurs massiv unterbewertet war — nach eigenen Angaben spezialisiert er sich seit einigen Jahren auf solche Aktien. Berichten zufolge war er ein lizenzierter Trader — also ein „Profi“. Inwiefern das juristisch relevant ist, bleibt abzuwarten und muss an anderer Stelle geklärt werden. Klar ist jedoch, dass er den Zusammenhang zu den Leerverkäufen zog, einen „Short Squeeze“ vorhersagte, andere Anleger:innen überzeugte — und damit recht behalten sollte.
Das “kriselnde Unternehmen”
Soweit zumindest die stark verkürzte Fassung. Auch die Darstellung von Gamestop als kriselndem oder angeschlagenen Unternehmen ist kaum zu halten. Zuletzt zahlte die Videospielkette Schulden schneller als erwartet zurück und investierte in den Strukturwandel, um das veraltete Geschäftsmodell dem digitalen Zeitalter anzupassen. Dass sich Unternehmer Ryan Cohen im September 2020 groß in das Unternehmen einkaufte und seine Anteile im Dezember noch einmal erhöhte, bescherte der bereits ansteigenden Aktie Auftrieb und Aufmerksamkeit — und in der „Wallstreetbets“-Community auch Gills Prognose.
Doch auch professionelle Analysten schlossen sich diesem Urteil mehrheitlich an. In zwei der vier vergangenen Quartale toppte Gamestop die Prognosen. Die durchschnittliche Bewertung lag zuletzt bei 13 US-Dollar. Zum Vergleich: Im August 2020 notierte die Aktie noch bei etwa fünf Dollar, also knapp einem Drittel. Hinzu kommen hohe Dividendenzahlungen von mindestens fünf Prozent in den vergangenen Jahren (auch wenn keine kontinuierliche Ausschüttung erfolgte). Außerdem würden wohl kaum institutionelle Eigner wie die Riesen „Blackrock“ oder „Vanguard“ ihre neun beziehungsweise fünf Millionen Anteile halten, würden sie nicht an das Unternehmen glauben.
Mit diesen Faktoren setzte nun der gegenteilige Dominoeffekt ein:
- Analysten und promintente Investoren kauften sich ein
- Der Kurs stieg, die Aufmerksamkeit auch
- Mehr Teilnehmer:innen kauften die Aktie, der Kurs zog weiter an
- Spekulant:innen witterten das große Geld, indem sie einfach nur die Aktie halten
- Leerverkäufer waren gezwungen, Aktien zum Stichtag Ende Januar zurückzukaufen
- Das erzeugte eine hohe Nachfrage bei wenig Angebot, der Preis stieg
- Prominente Stimmen wie Elon Musk (Tesla), Michael Burry („The Big Short) oder Jordan Belfort („Wolf of Wallstreet“) befeuerten den Hype zusätzlich
Allerdings hinkt auch diese Erzählung — und hier wird es langsam verwirrend. Zumindest scheint es, als hätte sich der Kampf an den Börsenplätzen auch um einen Kampf um die Deutungshoheit entwickelt. Schnell griffen Medien den vermeintlichen Hype um Silber oder Dogecoin auf, den die „Wallstreetbets“-Community als Kampagne der Hedgefonds sah, um von Gamestop abzulenken. Berichte, dass Bots die Community nun auswerten, um im großen Stil gegen deren Spekulationen zu wetten, brachten zusätzlichen Unmut.
Ein Haufen Idiot:innen?
Medienberichte weckten schnell den Eindruck, ein Haufen idiotischer Kamikaze-Anleger:innen wolle mit illegalen Absprachen die Wallstreet in die Knie zwingen oder zumindest in Panik versetzen. Gleichzeitig hieß es, andere Hedgefonds seien treibende Kraft gewesen und nicht Kleinanleger. Im „Wallstreetbets“-Subreddit machte sich wiederum eine Verschwörungs-Mentalität breit, Hedgefonds, Medien und die US-Finanzaufsicht würden nur „das große Geld“ beschützen. Tatsächlich fanden die Kaufbeschränkungen mehrerer Aktientitel wie Gamestop (während der Verkauf möglich war) bei Anbietern wie Robinhood oder Trade Republic unter fragwürdigen Voraussetzungen statt. Auch hier kam der Vorwurf der Marktmanipulation auf.
Während ab Anfang Februar medial der Niedergang der Gamestop-Aktie verkündet wurde, nachdem auch zahlreiche Kleinanleger:innen herbe Verluste eingefahren hatten, sammelte die „Wallstreetbets“-Community akribisch Hinweise, dass der Short Squeeze noch gar nicht stattgefunden habe. Stattdessen war zunehmend vom Gamma Squeeze die Rede, der vereinfacht gesagt das Gegenteil des Shortsellings bewirkt:
- Spekulanten zahlen eine geringe Gebühr, um sich den Kauf einer Aktie zu einem bestimmten Datum zu einem festgelegten Preis zu sichern (auch DFV nutzt teilweise diesen Optionshandel)
- Der Anbieter muss dafür die Aktie selbst kaufen
- Die Nachfrage steigt, also auch der Kurs
- Liegt der Kurs zum Kaufdatum über dem vereinbarten Preis, macht der Spekulant Gewinn (darunter Verlust)
- Wird die Aktie direkt im Anschluss verkauft, um den Gewinn einzustreichen oder den Verlust zu begrenzen, fällt der Kurs
Unendlich viele Daten
Parallel dazu sammelten sie Daten, die belegen sollen, dass Hedgefonds mit illegalen Short Ladder Attacks (dem wiederholenden Verkauf von geringen Aktienmengen untereinander) den Kurs künstlich drückten und sahen das geringe Handelsvolumen als Beleg. Sprachen von illegalen nackten Leerverkäufen („naked shorts“, dem Verkauf einer nicht vorhandenen und nicht geliehenen Aktie). Hinzu kommen weiterhin hohe Leerverkaufs-Raten, die den Kurs ebenfalls drücken und vorherige Verluste wieder reinholen sollen. Der Tenor: Der eigentliche „Short Squeeze“ ist noch gar nicht geschehen. In den vergangenen Tagen wurde gelegentlich dar sogenannte „Hexen-Sabbath“ als Endspiel heraufbeschworen, da zu diesem Stichtag am 19. März zahlreiche Optionen auslaufen und die Kurse bekanntlich gerne verrückt spielen.
Solange dieser Mythos — ob er nun stimmt oder nicht — aufrecht gehalten wird und Daten zu einem hohen Shortvolumen vorliegen, kann sich diese Prophezeiung wieder erfüllen. Als Blaupause gilt der Shortqueeze von VW im Jahr 2008, der die Aktie kurzzeitig von etwa 200 auf 1000 Euro katapultierte. Damals waren nur zwölf Prozent der Aktien geshortet — aber lediglich sechs Prozent um Umlauf. Wer also die Aktie lange genug hält, wird irgendwann profitieren, so der Glaube: „Wir können länger zurückgeblieben sein, als sie solvent.“ (We can stay longer retarded than they can stay solvent.) Dass die Aktie nun ein zweites Mal und sogar drittes Mal um bis zu 200 Prozent in kürzester Zeit gestiegen ist, scheint der „Reddit“-Community recht zu geben. Dass ein solches Szenario überhaupt denkbar wäre, habe ich der Medienberichterstattung in den vergangenen Wochen zumindest nicht entnommen.
Ich selbst habe erst am 4. Februar, also fast eine Woche nach dem — sei es nun Short oder Gamma — Squeeze drei Gamestop-Aktien zu je 60 Euro gekauft. Wieso? Der Hype in den zwei Wochen zuvor hatte mich eher skeptisch gestimmt. Nach dem (über einen kurzen Zeitraum betrachtet) drastischen Fall wollte ich mich in zweiter Linie positionieren, die „Big Player“ nicht so einfach gewinnen lassen und ein geschätztes Unternehmen mit weltweit fast 14.000 Mitarbeitern unterstützen. Bei einer Insolvenz wären die schließlich auf der Straße gesessen. Ein hoher Aktienkurs ermöglicht leichteren Kapitalzugang, um den Umbruch voranzutreiben. Die Kinokette AMC konnte durch ihren steigenden Aktienkurs die Pleite abwenden, statt wie befürchtet dutzende Standorte zu schließen.
Kurzfristig habe ich mit einem weiteren Verfall gerechnet, aber auch langfristig einen Wert von 60 Euro als nicht komplett utopisch gesehen — allein die kostenlose PR, die zahlreiche neue Kunden bescheren dürfte, verbunden mit möglichen Dividendenauszahlungen und dem nach wie vor hohen Shortinterest.
Also: Kaufen oder nicht?
In den vergangenen Tagen bin ich mehrfach gefragt worden, ob ich den Kauf empfehlen würde oder ob man noch einsteigen soll (zu den Zeitpunkten lag der Kurs allerdings noch bei unter 100 Euro). Die Antwort ist einfach: „Verzocke nicht, was du nicht verlieren kannst oder willst.“ (Im „Wallstreetbets“-Subreddit auch häufig so kommuniziert.) Die eben beschriebenen Gründe (ökonomisch, ideell und das reine Interesse) waren es mir wert, drei Aktien zu 60 Euro zu kaufen. „Freies Geld“, wie es bei „Wallstreetbets“ vereinzelt proklamiert wird, gibt es nicht. Hohe Profitchancen bergen meist ein hohes Risiko. DFV und andere Spekulant:innen waren sich aufgrund seiner (oder eigener) Analysen sehr sicher in dem, was sie taten. Eine selbst erfüllende Prophezeiung war und ist es jedoch nicht, da zu viele unbekannte Faktoren eine Rolle spielen und Informationen manipulierbar sind.
Trotz allen Aufsehens bleibt die Gamestop-Aktie eine Spekulation wie jeder andere Aktienkauf auch, mit der Anleger:innen Profite erzielen wollen — seien es nun private oder institutionelle. Die spektakulären Ausschläge sind Auswüchse des Systems, kein Ausbruch aus diesem. Die Spielregeln bleiben bis dato die gleichen. Letzten Endes handelt es sich um die Fütterung Goliats und nicht um den Kampf Davids.
Denn von den hohen Handelsvolumina und dem hohen Interesse an Optionen profitieren vor allem „die Marktmacher“. Steigende oder fallende Kurse sind für sie irrelevant (vorausgesetzt sie agieren mit legalen Mitteln), sie verdienen durch die Provision bei Kauf- und Verkauf dieser Papiere. Das hohe Interesse ist für sie ein Segen.