Warum deutsche EU-Politiker:innen gegen die Bulgarien-Resolution gestimmt haben

Die Mehrheit hat entschieden: In seiner Resolution zur Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien kritisiert das EU-Parlament systematische Mängel. Vertreter:innen von CDU, CDU und AfD haben diese klare Positionierung jedoch abgelehnt. Hier erklären sie ihre Gründe.

Niklas Golitschek
4 min readOct 21, 2020
Foto: Lena Reiner

Brüssel. Das ist Rückenwind für die Demonstrant:innen in Bulgarien. Mit 358 zu 277 Stimmen bei 56 Enthaltungen hat das EU-Parlament Anfang Oktober eine Resolution zur Rechtstaatlichkeit in dem Land verabschiedet.

In dem Text prangert das Parlament unter anderem an, dass die „Entwicklungen in Bulgarien zu einer erheblichen Verschlechterung im Hinblick auf die Achtung der Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, der Demokratie und der Grundrechte — einschließlich der Unabhängigkeit der Justiz, der Gewaltenteilung, der Korruptionsbekämpfung und der Medienfreiheit — geführt haben“. Explizit kritisiert wird außerdem, dass für Journalist:innen der Zugang zur Volksversammlung an damit zu Politiker:innen eingeschränkt wurde; nur ein Beispiel für die „gravierende Verschlechterung der Medienfreiheit in Bulgarien in den vergangenen zehn Jahren“. Ebenso systematische Probleme im Justizsystem, die trotz Urteilen des Europäischen Gerichtshofs noch nicht behoben worden sind.

Korruption, Ineffizienz und mangelnde Rechenschaftspflicht in der Justiz würden „weiterhin allgegenwärtige Probleme darstellen“, auf hoher Ebene hätten Untersuchungen dazu noch nicht zu „greifbaren Ergebnissen“ geführt.

Im Großen und Ganzen bekundet die Mehrheit des Parlaments der Europäischen Union — und damit die Institution als solche — „der bulgarischen Bevölkerung seine uneingeschränkte Unterstützung für ihre berechtigten Forderungen und Bestrebungen nach Gerechtigkeit, Transparenz, Rechenschaftspflicht und Demokratie“.

Doch das Ergebnis dieser symbolischen Wahl zeigt auch: Eine ganze Reihe von EU-Politiker:innen hat diese scharfe Kritik an der bulgarischen Regierung und den dortigen Institutionen abgelehnt. Darunter auch eine Reihe deutsche Abgeordnete, die aus drei Parteilagern kommen: CDU, CSU und AfD. Die beiden Erstgenannten sind Teil der Europäischen Volkspartei, der auch die bulgarische Regierungspartei Bürger für eine europäische Entwicklung Bulgariens (GERB/ГЕРБ — Граждани за европейско развитие на България) angehört.

Deutsche Politiker:innen begründen Ablehnung

Wir haben deshalb bei den drei Gruppen um Stellungnahme gebeten. Daniel Caspary ist Vorsitzender der CDU/CSU-Gruppe im Europäischen Parlament und stellt klar, dass eine Ablehnung der Resolution nicht mit einer uneingeschränkten Unterstützung der bulgarischen Politik gleichzusetzen ist: „Natürlich hat Bulgarien, wie auch andere EU-Mitgliedstaaten, im Hinblick auf die Rechtstaatlichkeit Aufholbedarf. Der zuletzt veröffentlichte Bericht der Kommission zeigt deutlich, dass es gerade hinsichtlich der Medienpluralität, den Medieneigentumsstrukturen und Medienfreiheit in Bulgarien strukturelle Schwächen gibt.“ Deshalb unterstütze seine Gruppe die bulgarische Regierung, die Kommission und unabhängige Akteure in ihren Bemühungen, Verbesserungen zu erreichen. Die Resolution dagegen sei nicht differenziert genug und vermische unabhängige Kontrolle mit Parteipolitik.

Die Berichte über Korruptionsfälle seien „hochgradig beunruhigend“, wenn auch kaum überraschend angesichts der strukturellen Probleme und einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 550 Euro. Wenn Caspary allerdings argumentiert, „Korruption war auch bereits unter der Vorgängerregierung ein Problem in Bulgarien“, dann unterschlägt er, dass auch diese von Bojko Borissow (2009–2013 und 2014–2017) geführt wurde.

Caspary verweist viel mehr darauf, dass die EU den Reformdruck auf Bulgarien hochhalten und wirtschaftlich helfen müsse, um sich dem EU-Durchschnitt weiter anzunähern: In dieser Hinsicht hat die Regierung Borissov durchaus beachtliche Erfolge vorzuweisen. Bestes Beispiel hierfür: Bulgarien befindet sich mittlerweile im „Vorzimmer des Euro“. Die Demonstrant:innen fordern jedoch genau das Gegenteil: Den Geldhahn zudrehen, um die strukturelle Korruption und das Versiegen von EU-Geldern in die Taschen von Oligarchen zu verhindern.

AfD: Nationale Parlamente sollen handeln

Auf andere Weise argumentiert Nicolaus Fest von der AfD: „Gründungsgedanke der EU war der gemeinsame Markt.“ Das stimmt nur bedingt. Über ihre eigene Geschichte schreibt die EU: „Die Schaffung der Europäischen Union hatte zum Ziel, den zahlreichen blutigen Kriege zwischen den Nachbarländern, die im Zweiten Weltkrieg mündeten, ein Ende zu setzen.“ Die wirtschaftliche und politische Vereinigung sollte zum dauerhaften Frieden beitragen.

Doch zurück zu Fests Linie. Er findet, Druck auf die bulgarische Regierung sollte eher aus den nationalen Parlamenten kommen und nicht aus Brüssel. „Stattdessen verstecken die sich hinter der EU — inklusive der Regierung Merkel, die ihren EPP-Parteifreund Borissow nicht beschädigen will“, kritisiert er. Eine solche Instrumentalisierung des EU-Parlaments etwa durch nationale Oppositionsparteien lehne er grundsätzlich ab. Trotz seiner Nein-Stimme sieht er Verbesserungsbedarf „auf vielen Gebieten“, darunter Pressefreiheit und Korruptionsbekämpfung.

Wie intensiv — oder auch nicht — er sich mit der Resolution befasst hat, lässt Fest jedoch durchblicken. Seine Stellungnahme leitet er mit den Worten ein: „Wenn ich dennoch gegen die Resolution gestimmt habe, dann aus folgenden Gründen.“ Recht hat er jedoch, wenn er anprangert, dass Korruption und mangelnde Pressefreiheit bereits 2007 beim EU-Beitritt Bulgariens gravierende Mängel waren. Der hätte seiner Ansicht nach verweigert werden müssen. „Neu sind daher nicht die Mängel an Rechtsstaatlichkeit, sondern lediglich die Demonstrationen dagegen. Aber es zeigt die Verlogenheit der EU, dass sie nun, nach vielen Jahren, in den Mängeln der Rechtsstaatlichkeit in Bulgarien plötzlich ein Problem sieht“, sagt er.

Darüber hinaus lehnt Fest explizit den Paragrafen des Resolution ab, der die Abschaffung von Diskriminierung wegen der “gewählten Geschlechtsidentität” fordert. Aus seiner Sicht sei das kein Thema auf den Straßen in Sofia sondern der „der linksgrünen Feministen im EU-Parlament“. Hinzu kämen „hate speech“ und „hate crime“.

Diese Beispiele zeigen, dass die Resolution zwar aus unterschiedlichen Gründen abgelehnt worden ist. Die Probleme der bulgarischen Rechtsstaatlichkeit jedoch erkannt sind. „Unser gemeinsames Ziel muss sein, den Lebensstandard und die Lebensverhältnisse, und da beziehe ich sämtliche bürgerliche Freiheiten mit ein, in Bulgarien und allen anderen Mitgliedstaaten zu verbessern“, sagt CDU/CSU-Vertreter Caspary.

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Written by Niklas Golitschek

Freiberuflicher Journalist | Freelance Journalist: Interessiert an Soziopolitik, Digitalem und Sport | Interested in sociopolitics, digital and sports.

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